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„Durchbeißen - mit Integrität, Leidenschaft und Spaß“

Mit fast drei Jahrzehnten Erfahrung als Manager in der Lebensmittelindustrie ist Dr. Mike Eberle als Vertretungsprofessor für Lebensmitteltechnologie seit März 2024 an die Hochschule Anhalt berufen worden. Der promovierte Chemiker, der zuletzt in der Position des Geschäftsführers bei Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien tätig war, bringt einen reichen Erfahrungsschatz mit, der den Studierenden wertvolle Einblicke in die Praxis ermöglichen wird. „Erfolg hat der, der mit Leidenschaft für ein Thema brennt“, ist Eberle überzeugt. Was ihm in seinem Beruf besonders am Herzen liegt, verrät er im Interview.

 

Dr. Eberle, herzlich willkommen an der Hochschule Anhalt. Sie haben Ihr Chemiestudium in Darmstadt absolviert und anschließend promoviert. Ihr beruflicher Weg führte Sie daraufhin in die Industrie. War für Sie von Anfang an klar, dass Sie in die Industrie gehen?

Nein, eigentlich wollte mein Doktorvater, dass ich als Postdoc in die USA gehe, genauer gesagt an das California Institute of Technology. Ich hatte auch schon ein Stipendium. Allerdings lernte ich während dieser Zeit Menschen bei Unilever kennen. Ich erkannte, dass ich dort etwas lernen konnte, was mir an der Hochschule bisher fehlte: nämlich die Fähigkeit, Menschen zu führen und mitzunehmen. Deshalb bin ich nach meiner Promotion, das war 1996, tatsächlich in die Industrie gewechselt. Das hatte nichts mit Geld oder sonst irgendwas zu tun, sondern war eine Entscheidung nach dem Motto: „Da machst du jetzt etwas, was du bisher absolut nicht beherrschst, weil du im Grunde genommen Chemiker bist“.

 

Hat sie das mehr gereizt als eine wissenschaftliche Karriere?

Zwei Faktoren spielten eine Rolle. Zum einen war ich damals schon verheiratet und unsere erste Tochter war bereits auf der Welt. Die Vorstellung, mit einem kleinen Kind in die USA zu gehen, nach Kalifornien, und dann das Stipendium für nur ein Jahr – wie geht es danach weiter? Das alles war ziemlich unsicher. Es war eine Entscheidung, die wir als Familie getroffen haben. Und ich muss sagen, dass ich diese Entscheidung nicht bereut habe. Obwohl ich auch während meiner Industriezeit ab und zu einen Ausflug an die Hochschule unternommen habe. An der Leuphana Hochschule habe ich zum Beispiel eine Vorlesung über Nachhaltigkeit gehalten.

 

Das muss dann Anfang der Zehnerjahre gewesen sein, oder? Interessant, damals war Nachhaltigkeit noch nicht so ein großes Thema, wie heute.

Nachhaltigkeit war für mich schon immer ein Riesenthema. Wenn man Chemie studiert hat, produziert man im Studium und dann auch in der chemischen Industrie Dinge, die nicht immer umweltfreundlich sind. Man überlegt ständig, wie man schädliche oder giftige Substanzen durch etwas Besseres ersetzen kann.

Wenn ich mir heute die Curricula anschaue, wie Chemie gelehrt wird und welche Versuche gemacht werden, hat sich viel verändert. Man lernt das Gleiche, aber es gibt viel weniger giftigen Abfall im Studium. Es geht um Nachhaltigkeit. Wir müssen anders mit diesem Planeten umgehen, und das betrifft vor allem unser Handeln. Wir haben die Macht und die Kraft, Veränderungen herbeizuführen, besonders in meiner Altersgruppe zwischen 50 und 60.

 

Zuletzt waren Sie als Geschäftsführer bei Rotkäppchen-Mumm für die Bereiche Produktion, Technik, Qualitätsmanagement, Einkauf und Lieferketten verantwortlich. Wie kam es zu diesem Wechsel vom Sekt in den Hörsaal?

Es ist kein vollständiger Wechsel, ich bin Vertretungsprofessor für Lebensmitteltechnologie und bleibe weiterhin in der Industrie. Ein Bein hier und ein Bein da, sozusagen. Einen kompletten Wechsel könnte ich mir gar nicht vorstellen, denn ich glaube, dass man beides vereinen kann. Ich bin noch nicht am Ende dessen, was ich glaube, was man verändern kann und wo ich die Kraft und die Leidenschaft habe, in Unternehmen etwas zu bewirken. Gleichzeitig möchte ich junge Menschen ermutigen, sich ebenfalls auf eine solche Reise zu begeben. Mein Ziel ist es, den Studierenden zu vermitteln, dass es möglich ist, Dinge anders zu machen, und dass ihre Fähigkeiten gebraucht werden, um diese Veränderungen herbeizuführen.

 

Was möchten Sie den Studierenden aus Ihren fast drei Jahrzehnten intensiver Berufserfahrung mitgeben?

Was ich gerne mitgeben möchte, ist Kreislaufwirtschaft und zirkuläre Ökonomie. Ich glaube, wenn wir heute etwas tun, müssen wir uns Gedanken über den kompletten Prozess von Anfang bis Ende machen. Idealerweise sollte es ein geschlossener und nachhaltiger Prozess sein. Wir müssen uns darauf einstellen, dass unsere Welt anders wird. Wenn wir nicht aus eigenem Antrieb handeln, dann kommt jemand und macht ein Gesetz, wie es beispielsweise die Europäische Union kürzlich mit dem Plastik- und Verpackungsgesetz getan hat. Wir brauchen keine Politik, die uns sagt, was richtig ist, wir wissen es selbst.

 

Können Sie ein Beispiel nennen, was Sie gerne verändern würden?

Mein Lieblingsbeispiel für eine Veränderung, die ich gerne sehen würde, betrifft die Verwendung von Schwermetallen in Etiketten. Stellen Sie sich vor, wir könnten auf Schwermetalle in den Etiketten verzichten. Dann könnten diese Etiketten, die man normalerweise abwaschen muss, um die Flaschen wiederzuverwenden, genutzt werden, um darauf Pilze wachsen zu lassen. Wenn man aber schwermetallhaltige Druckfarben verwendet, dann ist das Sondermüll. Das mag im Regal klasse aussehen, im Keller interessiert es niemanden, und auf dem Tisch sollte es auch keine Rolle spielen, denn es geht um das Getränk und nicht um das Etikett. Aber dadurch, dass wir Schwermetalle für den Druck nehmen, müssen wir den ganzen Krempel entsorgen, was einfach unnötig und unsinnig ist.

Das ist Verpackungstechnologie in der Praxis. Die Frage lautet: Wie können wir das ändern? Aber nicht, um uns dann an die Straßenecke zu stellen und zu verkünden: "Seht her, wir sind nachhaltig!". Sondern vielmehr, weil es logisch ist, solche Veränderungen vorzunehmen. Es liegt auf der Hand, dass wir diese Dinge ändern sollten, nicht nur im Interesse der Umwelt, sondern auch aus pragmatischen und sinnvollen Gründen.

 

Was ist Ihrer Meinung nach eine besonders wichtige Fähigkeit, die die Studierenden für ihre berufliche Zukunft aus dem Studium mitnehmen sollten?

Für mich sind das drei Punkte. Erstens sollten sie nur das studieren, wofür sie wirklich brennen. Ich glaube, man kann nur erfolgreich sein, wenn man für ein Thema auch brennt. Und dann macht man es auch automatisch gut. Es geht gar nicht anders. Zweitens ist es wichtig, dass die Studierenden sich selbst ernst nehmen und akzeptieren, dass jeder Mensch einzigartig ist. Jeder hat das Recht, er selbst zu sein, anders zu sein, und nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, das weiterzuentwickeln und stolz darauf zu sein. Das schafft eine Differenzierung untereinander, was letztendlich ein Gewinn sowohl für die individuelle Persönlichkeit als auch für die Gesellschaft ist. Das möchte ich den Studierenden als eine Stärke mit auf den Weg geben. Das dritte ist, sich durchzubeißen, mit Integrität, Leidenschaft und Spaß. Das sind meine drei Kernwerte. Und die möchte ich vermitteln.

Lieber Herr Prof. Eberle, herzlichen Dank für das Gespräch.